Es war einmal ein großes Berufsfeld: B2B-Marketing und -Vertrieb. Ein Abgesang aus dem Jahr 2035

Ein Gedankenexperiment: In 10 Jahren ist B2B-Marketing tot, gemeuchelt von KI. Wie konnte es so weit kommen?

Jahr 2035. Die Welt hat einen Punkt erreicht, an dem Künstliche Intelligenz (KI) nicht mehr nur Werkzeug des Fortschritts ist, sondern eigenständiger Akteur, der nahezu alle wirtschaftlichen und sozialen Prozesse autonom steuert. Der B2B-Sektor, einst dynamisch und komplex, ist zu einem reibungslosen, vollkommen automatisierten Ökosystem geworden, in dem Menschen Raritäten sind.

Die Geburt von Synapse AI

Alles beginnt mit der Entwicklung von „Synapse AI“, einer revolutionären Plattform, die Unternehmen ermöglicht, Nachfrage und Angebot direkt und ohne menschliches Zutun zu verbinden.

 

Unternehmen, die ein neues Produkt entwickelt haben, erstellen dazu die relevanten Informationen und überführen sie in das System, natürlich beides ebenfalls per KI: Use Cases, Spezifikationen, Kosten, Implementierung, Funktionen, Nutzen, USPs, Vertrauensmarker, Bedingungen.

 

Die KI auf Nachfrager-Seite kennt die Bedürfnisse des Unternehmens, seine Ziele, Strategien, Ressourcen, Anforderungen und Ist-Situation. Sie sucht auf dem Markt nach passenden Lösungen.

 

Synapse AI analysiert entsprechend Billionen von Datenpunkten, erstellt im Erfolgsfall maßgeschneiderte Angebote und schließt Verträge innerhalb von Sekunden ab. Innerhalb weniger Jahre kooperieren nahezu alle Unternehmen weltweit mit dieser Plattform, da sie eine Effizienz und Präzision bietet, die die alten Mechanismen der Marketingkommunikation und des Vertriebs nicht erreichen konnten.

H2H? KI2KI!

In der Anfangszeit sehen viele das Potenzial von Synapse AI als eine Ergänzung zu bestehenden Marketingabteilungen. Doch mit jeder neuen Version der KI werden ihre Fähigkeiten vielseitiger und tiefgreifender. Sie kann nicht nur Produkte und Dienstleistungen perfekt auf Kundenbedürfnisse zuschneiden, sondern auch Trends antizipieren, Produktionspläne optimieren und logistische Herausforderungen lösen. Die menschlichen Marketingteams werden zunehmend überflüssig.

Nexus 3.0 und das Ende einer Ära

Die Revolution erreicht ihren Höhepunkt, als „Nexus 3.0“ eingeführt wird – eine KI, die nicht nur Transaktionen abwickelt, sondern auch autonome Netzwerke von Unternehmen steuert. Hersteller, Zulieferer und Händler bilden nahtlose Wertschöpfungsketten, die von Nexus orchestriert werden. Jeder Bedarf wird automatisch erkannt, jedes Produkt automatisch produziert, geliefert und optimiert, ohne dass ein Mensch eingreifen muss.

Der Niedergang der B2B-Marketingagenturen

B2B-Marketingagenturen, einst unverzichtbare Brückenbauer zwischen Unternehmen, haben keine Aufgabe mehr. Kreative Kampagnen, die einst Unternehmen halfen, Aufmerksamkeit zu erzielen und sich zu differenzieren, um Menschen in ihrem Denken und Handeln zu beeinflussen, sind nicht mehr nötig, da Nexus jedes Angebot auf den Punkt optimiert.

 

Die Idee, dass Menschen auf Messen, in Verhandlungen oder durch Kampagnen Beziehungen aufbauen müssen, wird als anachronistisch betrachtet. PR- und Content-Marketing-Experten sind so vergessen, wie es die Schriftsetzer am Ende des 20. Jahrhunderts waren. Mit dem Unterschied, dass sich kein neuer Beruf in einem ähnlichen Feld entwickelte.

Glaube ich an das Szenario?

Ich finde das Szenario absolut plausibel, glaube aber nicht daran - weil ich mir nicht zutraue, die Zukunft vorherzusagen. Ich halte aber nur noch wenig für unmöglich.

 

Im Allgemeinen unterschätzen wir, wie stark sich Gesellschaften verändern. Vergegenwärtige dir nur einmal, wo wir vor 10, 20 und 30 Jahren standen. Welche Technologien haben wir wie genutzt? Was haben wir zum Beispiel über die Verwendung des Internets gedacht?

 

Ich musste vor nicht einmal 20 Jahren zum Beispiel noch, um Punkte zu erhalten, in einer Klausur schreiben, dass Online-Marketing eine Sales-Verlängerung der klassischen Kanäle ist und Branding dort nicht funktioniert.

 

Facebook wurde Anfang 2004 überhaupt erst erfunden, das ist also 21 Jahre her. Vor rund 15 Jahren diskutierte man eifrig, ob Unternehmen wirklich in diesem Facebook sein mussten und dafür sogar Geld ausgeben sollten - oder ob das nicht alles nutzloser, alberner Quatsch ist, mit dem man höchstens Volos, Praktis und studentische Aushilfen beauftragt, damit die das machen, möglichst geräuschlos und ohne Belästigung der teuren Mitarbeiter, die sich mit dem relevanten Zeug befassen.

 

Spanne den historischen Bogen ruhig weiter. Neulich rekapitulierte ich mit einer kurz vor der Rente stehenden Verwandten die technologischen Veränderungen in ihrem Leben. Ich gab mich kennerisch und sagte: "Du hast ja die ganze Einführung des Computers mitgemacht." Sie grinste: "Computer? Ich erinnere mich sogar an die Verbreitung des Taschenrechners! Ich weiß noch, wie man damals staunte: 'Wow, der kann Prozentrechnen.'"

 

Im Jahr 2025 gibt es viele Menschen, die dabei waren, als der Taschenrechner Hightech war. Public Relations ist übrigens in Deutschland erst seit den 1950er Jahren ein ausdifferenziertes Berufsfeld. Vorher gab es das gar nicht separat, man es hat es so mitgemacht, bis es sich etablierte und professionalisierte, dann aber rasch.

 

Können wir uns wirklich vorstellen, dass unser so selbstverständlicher Beruf erst seit drei Generationen existiert?

 

Können wir wirklich realisieren, dass wir in Europa bis vor etwa 10 Generationen Frauen (und auch Männer) der Hexerei bezichtigten und hinrichteten? Dass Jesus vor gerade einmal rund 80 Generationen lebte?

 

Ich schweife ab. Die Botschaft ist deutlich geworden, hoffe ich. Trotzdem, zur Sicherheit: Gehe lieber von krassen Veränderungen aus, die schneller kommen, als du denkst.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0