Sind die Apologeten des passiven Investierens einseitig und dogmatisch?

Aktive und passive Investoren eint die Überzeugung, eine Anlagestrategie zu verfolgen, die der der anderen überlegen ist. Aus dem Lager der aktiven Investoren ertönt manchmal der Vorwurf an die passiven, einseitig und dogmatisch zu sein. Was ist davon zu halten?

Wer genau ist einseitig und dogmatisch?

"Dogmatisch" kann zweierlei meinen:

  • Anspruch auf allgemeingültiges Wissen
  • Kritiklose Übernahme von Meinungen

"Einseitig" wiederum verweist in diesem Kontext auf eine Voreingenommenheit, die eine ergebnisoffene Urteilsfindung verhindert.

 

Wer da schießt, trifft sich selbst:

  • Aktive Investoren sind berühmt für ihre Voreingenommenheit - wie sonst lässt sich die wissenschaftliche "Seite" des Investierens so erfolgreich wegwischen? Die Wissenschaft schlägt sich ja gerade nicht von vorn herein auf eine bestimmte Seite, sondern geht neutral an ihren Gegenstand heran und ist daher eben per se nicht einseitig. Auf ihrer Basis investiere ich selber passiv.
  • Aktive Investoren setzen Strategien und Guru-Meinungen, ohne fundamentalkritische Kapitalmarktforschung, in Anlageentscheidungen um.
  • Aktive Investoren beanspruchen Allgemeingültigkeit gerade für das Unverfügbarste: die Zukunft. Sie wissen immer ganz genau, wie es bald sein wird, ihre Prognosen dröhnen so satt wie auspuffangebohrte Oberklasse-Coupés, wenn in Hamburg am Jungfernstieg die Ampel auf Grün springt.

Heute allerdings meint Einseitigkeit eher Eindeutigkeit und gilt als verwerflich. Denken, Urteile bilden und alles andere ablehnen, bis man nachvollziehbare Argumente hört, wird als barsch und unhöflich empfunden. Stattdessen ist -  unabhängig von dem, was der eigene Verstand unter Aufbietung seiner Kräfte für richtig hält - diplomatische Vorab-Aufweichung der eigenen Position die empathische Pflicht des achtsamen Euro-Yogis.

Die Pseudo-Toleranz der sachlich Unterlegenen

In rhetorisch gepolsterten Schuheinlagen laufen dann auch die  drollig breitbrüstigen Prognosen der aktiven Investoren ein. Da hört man von bescheiden anmutenden "Investmentideen", bei denen jedoch übersehen wird, dass sie schon durch ihre Existenz die wissenschaftlich vielfach gezeigte und erklärte, sehr weitgehende Informationseffizienz der Wertpapiermärkte leugnen und passives Anlegen genauso zurückweisen, wie umgekehrt die Passiv-Vertreter aktive Strategien verdammen.

 

Aktive Investoren pflegen eine harte Ignoranz der Wahrheit in sanftem Licht, das eine geschmeidig tolerante Farbe auf den Sprecher pinselt: Jeder hat halt so seine Meinung, ist doch toll und alles gleich gut! Dagegen wirken die passiven Indexer in ihrer an trockenen Kapitalmarktdaten reichen, holistischen Betrachtung und ihrer schroffen Abwehr aller Versuche, sie in eine tolle Investmentstory hineinzuquatschen, beinahe gewalttätig, mindestens verbohrt. Anlage-Apparatschiks.

 

Dabei sind sie in der direkten Konfrontation oft noch viel zu nachgiebig und großzügig. Sie sollten selbstbewusst für sich reklamieren, dass sie unter den heute aus guten Gründen etablierten Rationalitätskriterien ex ante schlicht Recht haben. Und dass die Gegenseite irrational ist. (Was trotzdem funktionieren kann - mit höchster Wahrscheinlichkeit aber nur aufgrund von Glück und nicht Können.)

 

Das ist unmodern in einem stark erwärmten kulturellen Klima, wo man einem Diskutanten nicht mehr primär zumutet, das bessere Argument ausfindig zu machen, sondern ihm vor allem anträgt, die Gefühle des Gegenübers zu erraten, um den Emotionshaufen schließlich "abzuholen". Wem das gelingt, dem verzeiht man viel Unsinn. Wem das nicht gelingt, dem verzeiht man kein Rechthaben. Aus beidem spricht die Geistesschwäche unserer falsch abgebogenen Sensibilität.

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Kommentare: 1
  • #1

    Wolfram Gorisch (Montag, 21 Dezember 2020 15:03)

    Hallo Alex,
    Zum Begriff "dogmatisch": Griechisch doxa, Meinung, im Gegensatz zu episteme, Erkenntnis. Die Meinung ist ein persönliches Rechtsgut, das geschützt ist bzw. sein soll. Allerdings gilt das Recht auch für Andersmeinende. Folglich darf eine eigene Meinung anderen nicht aufgezwungen werden. Aus Symmetriegründen darf für die persönliche Meinung auch keine Allgemeingültigkeit beansprucht werden. Im Gegensatz dazu ist dem Gegenstand einer Erkenntnis der Anspruch der Allgemeingültigkeit/Objektivität zuerkannt. Er unterliegt der Diskussion, letztlich ist er ein Gegenstand der wissenschaftlichen Prüfung und Erörterung. Viele Leute bringen diese beiden Dinge durcheinander. Der Begriff "Dogma" ist gegenüber "Meinung" und "Erkenntnis" inzwischen abgegrenzt dadurch, dass Dogmen als allgemeine Wahrheiten gelten, die vor jeder Prüfung, egal wie die Prüfung ausfällt, wahr sind. Oft sind Dogmen metaphysische Glaubensgegenstände, deren Wahrheitsgehalt gar nicht empirisch nachprüfbar ist (dagegen ist deren Konsistenz nachprüfbar, z.B. gegenüber anderen Dogmen derselben Glaubensgemeinde).

    Die Frage, ob die These über das Passivinvestieren dogmatisch ist, ist für mich eigentlich irrelevant. Es geht mir eher um die Frage, welche Anlagestrategie mir die größte Chance bringt, ggf. unter Berücksichtigung meines Anlagehorizontes (Chance gleich Rendite mal Eintrittswahrscheinlichkeit für diese Rendite). Ich denke, dass diese Frage am besten mit wissenschaftlichen Methoden beantwortet werden sollte.

    Ich bin dir dankbar, dass du mir den Hinweis auf das Buch von Martin Weber et al gegeben hast. Ich habe es (quer-)gelesen und folge den meisten Argumenten. Sicher ist es wert, dass ich mich noch genauer damit befasse. Einige Folgerungen scheinen mir jetzt schon etwas inkonsistent zu sein, und andere Thesen sind mir etwas fragliche Verallgemeinerungen aus bestimmten Erhebungen zu sein. Mir scheint eine wohlwollend-kritische Herangehensweise die Beste zu sein, um für mich den meisten Nutzen aus diesem Buch herauszuziehen. Soweit bin ich aber noch nicht. Zunächst also schon mal vielen Dank für die neuen Sichtweisen.

    Im Sinne des oben Gesagten möchte ich anfügen, dass ich hier meine Meinung wiedergebe, mit der ich keine Allgemeingültigkeit verbinde.

    Viele Grüße, Wolfram

    PS. Vielleicht bin ich etwas zu penetrant mit meinen Kommentaren, bitte entschuldige. Wenn es Themen gibt, die dir am Herzen liegen, können wir auch über PN kommunizieren, wgorisch at t-online.de. Andere Themen lasse ich gerne liegen.