Kritik: Warum Zemeckis Film "Here" meisterhaft ist, gerade weil wir nicht mit den Figuren mitfühlen

Das pralle Leben in einem Zimmer: Robert Zemeckis Film "Here"
Das pralle Leben in einem Zimmer: Robert Zemeckis Film "Here"

Viele Zuschauer kritisieren, dass Robert Zemeckis' Film "Here" sie distanziert zurücklässt: Er verwendet nur eine einzige Kameraperspektive, die ohne jeden Zoom oder sonstige Tricks einen einzigen Raum und die verschiedenen darin handelnden Figuren abfilmt. Oft sind sie zu weit weg, um ihre Mimik zu erfassen, und wir kommen ihnen auch ansonsten nie nahe. Die vermeintliche Schwäche ist jedoch die Stärke des Films. Eine Kritik.

Wir sehen große Dramen des 20. und des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts, aber auch Ereignisse aus den Jahrtausenden, Jahrhunderttausenden und Jahrmillionen zuvor vom selben Ort, lange bevor genau dort das Haus mit Wohnzimmer stand, das im Fokus steht. Wir sehen die Hoffnungen und Träume sowie Enttäuschungen und Verbitterungen, kleine wie große, aber wir fühlen nicht mit.

 

Wir sehen die Zeit vergehen; es wird von den Figuren teilweise direkt behauptet, aber wir fühlen es nicht. Wir betrachten das Geschehene wie aus dem Zuschauerraum eines Theaters, wir verfolgen die einzelnen Geschichten in der Gesamtgeschichte des Raumes, sehen das Entstehen von etwas Vielversprechendem und den Verlauf bis zum Tod. Bewohner wechseln, Neues wird zu Altem, und weiter geht es. Aber wir sind nicht hineingezogen. Es rauscht alles so durch.

Die Stärke der Distanzierung in "Here" von Robert Zemeckis

Was viele bemängeln, ist die Stärke des Films "Here" von Robert Zemeckis: Wir lernen eine Distanz zu unserem unmittelbaren Erleben. Zwischen Reiz und Reaktion liegt das Reich unserer Freiheit. Der Film führt uns dorthin.

 

Wir blicken unbeteiligt auf das teils heftige, aber auch melancholisch schöne Geschehen trotz allem Schmerz und begreifen: So ist das Leben. Eben noch startete es, baute sich auf, dann setzt der Verfall ein, schließlich das Sterben, am Ende der Tod - und dann geht es weiter, wieder von vorn, mit neuen Akteuren, aber vergleichbaren Erlebnissen, natürlich in Variationen.

Akzeptanz des Flüchtigen

Momente der Schönheit und des Leidens im Fluss des ewigen Werdens, alles wird mitgerissen, und doch gibt es eine Chance auf Versöhnung; der Film endet nicht nihilistisch.

 

Wir lernen: Dieses Flüchtige, dieses Nichts-können-wir-Festhalten hat seinen Eigensinn und Eigenwert in seinem Vollzug. Es steuert auf nichts zu, es vollendet sich nicht. Es spielt sich einfach ab, und unsere Aufgabe ist es, das Vergängliche zu erleben und zu bejahen; wir sollen streben und wollen - und es doch letztlich als das sehen, was es ist: ein großes Theaterstück, die menschliche Tragödie, die zu durchschreiten eben doch sinnvoll ist.

Eine Meditationsanleitung für das Leben

Selbst das Traurigste zu akzeptieren, weil es notwendig zum großen, alles überwältigenden Leben gehört, das zeigt dieser Film. Er ist eine Meditationsanleitung, um auf unser eigenes Leben einen solchen Blick zu gewinnen.

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