Rezension Buch von Gerd Kommer: "Souverän investieren vor und im Ruhestand"

Mit seinem neuen Buch "Souverän investieren vor und im Ruhestand" führt Gerd Kommer die ETF-Weltportfolio-Anleger und solche, die es werden wollen, finanziell durch die zweite Lebenshälfte.

Kontext zu Kommers anderen Büchern

Alle drei "Souverän investieren"-Bücher von Gerd Kommer sind als jeweils in sich abgeschlossener Ratgeber für verschiedene Zielgruppen konzipiert:

 

"Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs": Sein Opus magnum, das dickste von allen. Hier erfährt man in aller Breite, maximal zahlen- wie datengetrieben, warum man ausschließlich passiv in ein Weltportfolio investieren sollte und wie das funktioniert.

 

"Souverän investieren für Einsteiger": Sein Angebot für alle, die sich auf einfachere Weise mit dem Thema befassen wollen, um schnell loszulegen.

 

Werbung "Souverän investieren vor und im Ruhestand": Das Endstück des großen Bogens. Wer auf die Rente zusteuert oder das Arbeitsleben bereits hinter sich hat, bekommt hierin einen Einblick in das passende Investieren.

 

Da souveränes Investieren für die verschiedenen Zielgruppen im Kern identisch bleibt, sind thematische Überlappungen und damit Wiederholungen unausweichlich. Eifrige Kommer-Leser werden in dem letztgenannten Buch, das jetzt bei Campus erschienen ist, daher zur eigentlichen Geldanlage im Kern wenig Neues entdecken. Vielmehr besteht der Nutzen primär in den Kenntnissen, die um diesen Kern herum vermittelt werden.

 

Wo stehe ich, reicht mein Geld, was kann ich mir leisten und wie lege ich im Alter an?

Kapitel 3, 4  und 5 behandeln die Fragen, die den Lesern vermutlich am meisten unter den Nägeln brennen. Wer in 10 oder 20 Jahren in Rente gehen will oder sie schon bezieht, benötigt eine solide Finanzplanung und ein Wissen darum, wie er sein Geld anlegen soll, um es unter Rendite-Risiko-Gesichtspunkten am besten zu nutzen.

 

In Kapitel 3 gibt Kommer Hilfestellungen zur Ermittlung des Status quo in Form einer Haushaltsbilanz sowie einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung, entlehnt aus dem Kontext eines Unternehmens. Das dürfte zu den Übungen des Lebens gehören, die genauso hilfreich sind wie unbeliebt.

 

In Kapitel 4 führt der Autor in die Berechnungen zur Entnahmerate ein und erklärt insbesondere die interessanten Monte-Carlo-Simulationen, auch anhand einiger Beispiele. Dieses Kapitel hätte - bei aller Individualität der einzelnen Fälle - noch näher am Leser sein können: konkrete, detaillierte Schritte zur Berechnung mit mehr realistischen Beispielen, um ein besseres Gefühl für mögliche Entnahmestrategien mit und ohne Vererbung zu bekommen, auch wenn für die eigene Entnahme natürlich eine persönlich passende Lösung gefunden werden muss.

 

Gleiches gilt für Kapitel 5. Hier breitet Kommer den Weltportfolio-Ansatz aus, wie man es aus seinen anderen Büchern kennt, hätte aber noch stärker auf die Situation vor und im Ruhestand eingehen können. Besonders die Frage danach, wann der risikobehaftete Teil denn unter welchen Umständen wie hoch sein darf/kann/sollte, hätte eine ausführlichere Darstellung verdient. Kommer gibt hier die bekannte Faustformel wieder: 100 (oder evtl. 110) minus Lebensalter = Anteil risikobehaftet. Andernorts weist er darauf hin, dass eine zu hohe Aktien-Quote nicht unbedingt besser ist, da sie naturgemäß zwar im Durchschnitt die Rendite erhöht, aber eben auch die Ausschläge vergrößert - auch die nach unten, was mit einem kurzen Restanlagehorizont unangenehm wird. Als Mindestaktienquote nennt Kommer den Bereich von 10 %. Detaillierter wird er nicht, doch gerade diese Frage ist ja interessant: Wie groß soll der Aktien-ETF-Anteil im Verhältnis zur verbleibenden Anlagedauer sein und was könnten weitere Kriterien sein bzw. Wege zur Bestimmung? Sollte ich ihn regelmäßig verringern (Kommer legt das an einer Stelle nahe)? Wie genau? Mehr fiktive, aber an der Realität vieler Haushalte orientierte Beispiele könnten hier helfen.

 

Andere Anlageformen und Einkommensquellen als ein ETF-Weltportfolio

Da die Zielgruppe dieses Buches in der Regel bereits mehrere Anlageformen  haben dürfte, geht Kommer auf diese ausführlicher ein als in seinen anderen Büchern. Besonders umfangreich ist das Kapitel zu Immobilien, dafür gibt es vom Autor ja auch ein separates Buch. Wichtig ist hier die Betonung der schwierigen Nutzbarkeit einer Immobilie im Alter, wenn es einen Liquiditätsbedarf gibt, sowie die Relativierung des konzeptionell fragwürdigen Höchstzieles des mietfreien Wohnens: Es kommt eben auf ein großes und möglichst gut verfügbares Vermögen an. Mietfrei zu wohnen ist dabei nicht automatisch die beste Entscheidung - und wer es dennoch will, kann sich einfach nach Jahrzehnten einer renditestarken Kapitalanlage später in Cash ein Eigenheim kaufen (genau dies übrigens hat der Autor, wie er in seinem Buch "Kaufen oder mieten" schreibt, vor allem aus Lifestylegründen vor).

 

Erstaunt hat mich Kommers kurz dargelegte eher positive Haltung zur betrieblichen Altersvorsorge mit Entgeltumwandlung, zumindest wenn sie nicht in Form einer fondsgebundenen Rentenversicherung erfolgt. Der Autor sagt hier, dass diese sich oft lohne. Ich habe mich mit der eigentlich sehr komplexen Renditeberechnung und den Risiken einer Direktversicherung einmal beschäftigt und bin eher, sagen wir mal, skeptisch. Hier von ihm zukünftig Genaueres zu lesen, ist sicherlich interessant, wnen auch etwas abseits seines bisherigen Themenspektrums.

 

Mit der gesetzlichen Rente in ihrer heutigen Form geht Kommer deutlich härter ins Gericht und bewegt sich auf den Pfaden, die wir seit einigen Jahren aus einigen politischen Kreisen kennen. Gut möglich, dass die Kritiker des heutigen Zustandes des Umlagesystems richtig liegen. Leider aber schwingt bei ihnen häufig wenigstens im Unterton mit - und das habe ich in einem geringeren Maße auch in Kommers neuem Buch so wahrgenommen -, dass es gar keine gute und gerechte gesetzliche Rente geben kann und unser aller Heil in der rein privaten, vielleicht noch betrieblichen Altersvorsorge liegt. Konstruktive Vorschläge oder zumindest Hinweise auf mögliche Lösungen für die gesetzliche Rente macht Kommer jedenfalls nicht. Trotz des Ratgeber-Charakters des Buches wäre dies hilfreich, um den Lesern etwas die Angst vor Altersarmut zu nehmen, mit der sie seit langer Zeit von politischer Seite unnötig gequält und in schlechte Alternativen gedrängt werden (vor denen Kommer auch warnt).

 

Zumal das Buch auch darüber hinaus nicht ganz politikfrei ist: Ich verstehe aus persönlicher Sicht sehr gut, dass jeder sein Vermögen schützen will, gerade auch vor zusätzlicher Besteuerung zwecks Umverteilung. Doch wo, wie in Kommers Buch, solche Maßnahmen eines demokratischen Rechtsstaats, die auf  Gerechtigkeitsüberlegungen fußen können, "Untergangs- und Crash-Szenarien" darstellen und schlicht und unterschiedslos mit "Eigentumsschutzmaßnahmen" verhindert werden müssen, da erscheinen - kämpferisch formuliert - der Staat und letztlich mindestens die ärmeren 75 % der Bevölkerung als Aggressoren, deren feindliche Übergriffe abzuwehren sind.

 

Diese letztgenannten politischen Aspekte spielen - obwohl die Gewichtung in dieser Rezension etwas anderes nahelegt - in dem Buch keine dominante Rolle, ja sogar nur eine kleine, untergeordnete. Mir persönlich sind sie jedoch wichtig (sie triggern mich, wie man heute etwas abwertend sagt) und stören mehr beim Lesen, als dass sie dem durchschnittlichen Haushalt helfen, einen guten Ruhestand zu verbringen.

 

Nachtrag: In einem neuen Buch widmet sich Kommer zusammen mit Olaf Gierhake ausschließlich dem Aspekt des Vermögensschutzes für Wohlhabende.

 

Fazit

Die Struktur des Buches hätte einen klareren roten Faden verdient (nicht nur politisch ;)). Manchmal fühlte ich mich etwas verloren, da ich den Gesamtzusammenhang nicht erfassen konnte. Inhaltliche Wiederholungen, von denen auch Kommers Hauptwerk nicht ganz frei ist, und weit auseinanderliegende Informationen, die eigentlich zusammengehören (z. B. zu Bankeinlagen), sind die Folge. Ein Aufbau aus inhaltlich klar voneinander abgegrenzten Schritten mit intutiv einleuchtender Gliederung, deren Einzelteile Fragen so konkret wie möglich beantworten, hätte eine bessere Orientierung des Lesers ermöglicht.

 

Auch Werbung dieses Buch von Gerd Kommer ist trotz der hier vorgebrachten Kritik empfehlenswert. Es ist besser als das meiste, was es zum Thema Geldanlage zu lesen gibt, und gehört zu den sehr wenigen seriösen Werken, die sich explizit dem Investieren im Ruhestand widmen.

 

Was soll das jetzt heißen? Eigentlich gebe ich keine Zahlenbewertungen, aber wenn ich müsste: 7 von 10 Punkte. Kommers andere bisher von mir rezensierte Bücher bekämen alle 10.

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Hier meine eigenen Ausführungen zum passiven Investieren in ein ETF-Weltportfolio.

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